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Namenszug

Interview mit Lola, Thomas und dem Ersten

Lola
Lola
Erster
Der Erste

Ich habe eine starke Abneigung gegen Spoiler. Nachdem ich allzu oft feststellen musste, dass der Klappentext eines Buches mir die Pointe einer Geschichte verdarb, lese ich keine Klappentexte mehr.
Mir ist jedoch bewusst, dass ich damit allein stehe.
Dennoch kann ich mich nicht überwinden, eine Zusammenfassung des Inhalts von Sanguis B. zu schreiben. Ich hoffe, diesen Konflikt zwischen dem berechtigten Interesse der Besucherinnen und Besucher dieser Internet-Präsenz und meinen eigenen Neigungen dadurch entschärfen zu können, dass ich hier ein Interview mit drei Hauptfiguren aus meinem Roman anbiete. Ich bin selbst gespannt, was sie sagen werden. Da sie ihren eigenen Kopf haben, kann ich allerdings nicht dafür garantieren, dass keine Spoiler dabei sind!
Der Roman hat drei Teile. Das Interview hätte kurz vor dem dritten Teil stattfinden können, vielleicht in der Nacht vom 19. auf den 20. Dezember. Natürlich nur, wenn die Figuren sich dann begegnet wären (nahezu ausgeschlossen) und sich bereit gefunden hätten, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen und ein Interview zu geben (vollkommen ausgeschlossen).




Redaktion:
Lola, Herr Erster, Thomas, vielen Dank, dass Sie für dieses Gespräch zur Verfügung stehen.
Der Erste:
Schon in Ordnung, Junge. Wir wollen die Leute nicht mit ausufernden Einleitungen langweilen. Was wollen Sie wissen?

Redaktion:
Vielleicht könnten Sie sich zunächst einmal vorstellen?
Der Erste:
Ladies first.
Lola:
In Köln geboren, in Köln gelebt, in Köln gestorben, in Köln wiedererwacht. Ich war sechzehn Jahre alt damals, als die alte Ordnung in Trümmer ging. Seitdem betrachte ich diese Stadt als mein Eigentum.
Der Erste:
Darüber könnte man streiten. Überhaupt muss man zunächst feststellen, dass die Welt nicht nur in ihren Grundfesten erschüttert, sondern umgestürzt wurde. Gut so, es war überfällig, dass diese ekelerregende Dekadenz des erdumspannenden Hippietums weggespült wurde. Angesichts dieser unbestreitbaren Tatsache darf man nicht in so kümmerlich kleinen Kategorien denken wie einzelnen Städten. Diese Chance gilt es zu nutzen. Meine Vision umfasst die ganze Welt bis hinab zu den Negern in Afrika. Jeder ist Teil des großen Ganzen. In der Rückbesinnung auf Zucht und Ordnung liegt der Neubeginn für jeden Einzelnen.
Thomas:
Sind Sie fertig? – Gut. Denn Sie übersehen bei Ihrer Vision für jeden Einzelnen den entscheidenden Punkt, nämlich jeden Einzelnen, jeden in seiner Individualität, die Menschen und die Vampire.
Lola:
Auch, wenn Einige das immer noch nicht wahrhaben wollen: Die Menschen sind nicht mehr relevant. Sie entscheiden nicht mehr, was geschieht. Nunmehr wird über sie entschieden.
Thomas:
Wie dem auch sei. Um auf die Frage zurückzukommen: Mein Name ist Thomas Baleier, ich studierte Alte Geschichte in Köln, als es geschah. Ich war eines der frühesten Opfer.
Der Erste:
Herr Baleier, jetzt schwatzen Sie nicht so weibisch daher! Ihr Selbstmitleid erregt meinen Ekel! Opfer, das waren die anderen, die, die nicht mehr aufgewacht sind. Sie dagegen sitzen jetzt hier, um dieses Interview zu geben. Also nehmen Sie es wie ein Mann und beweisen Sie, dass Sie es wert sind!
Thomas:
Dass ich was genau wert bin? Vielleicht darf ich Sie auf die zweite Schwäche Ihrer genialen Planung aufmerksam machen: In ein paar Wochen wird es eine Menge mehr Vampire geben, aber kaum noch Menschen. Was passiert dann mit Ihrer neuen Ordnung? Ich verrate es Ihnen: Sie, ich, Lola, wir alle werden elend krepieren, weil wir keine Nahrung mehr haben werden.
Lola:
Darauf bin ich auch schon gekommen, Lasergehirn. Deswegen habe ich ja für Köln entsprechende Anordnungen erlassen.
Thomas:
Und wer, glaubst du, wird sich an diese Anordnungen halten?
Lola:
Jeder, dessen Selbsterhaltungstrieb noch intakt ist.

Redaktion:
Mich wundert ein wenig, dass Sie bei Ihren Überlegungen nicht auf die Verteidigungsmaßnahmen der Menschen eingehen. Sie sind nicht unverwundbar – denken Sie an das Sonnenlicht – und die Menschen werden sich doch sicherlich wehren.
Der Erste:
Diese Blumenkinder? Machen Sie sich nicht lächerlich, Junge! Ich weiß, wovon ich rede. Jede Nacht bekomme ich ja frische Rekruten herein. Denen muss man erstmal ganz gehörig den Kopf waschen, sonst sind sie nicht zu gebrauchen. Mit was für Vorstellungen die auflaufen! Wollen sich von Tierblut ernähren und solcher Blödsinn!
Thomas:
Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass Regierungen und Militärs für diese Art von Bedrohung einfach nicht gerüstet waren. Deswegen muss ich meinem Vorredner leider Recht geben.
Lola:
Wieso leider? Wärst du jetzt lieber tot?
Thomas:
Das nicht ...
Lola:
Na also! Es gibt keinen Weg zurück, wann siehst du das endlich ein? Du bist ja eigentlich ganz brauchbar. Wenn du mir nicht mit diesen ständigen Zweifeln auf den Geist gehen würdest, würde ich sogar sagen: Köln könnte mehr von deiner Sorte gebrauchen! Also sieh zu, dass du dich mit der Wirklichkeit arrangierst.
Thomas:
Noch bin ich nicht so weit, dass ich mir von einer Größenwahnsinnigen mangelnden Realitätssinn vorwerfen lassen muss!
Lola:
Für Leute ohne Visionen waren auch Kleopatra und Jeanne d'Arc größenwahnsinnig.

Redaktion:
Lassen Sie uns auf ein anderes Thema kommen, das unsere Leser sicherlich interessiert: Worin würden Sie den wesentlichen Unterschied zwischen einem Vampir und einem Menschen sehen?
Thomas:
Um es auf den Punkt zu bringen: Der Vampir ist ein Mensch, der an einer Krankheit leidet. Wenn Epi jetzt hier wäre, könnte sie es Ihnen sicher genauer erklären.
Lola:
Ich kann das nicht mehr hören! Wenn man geboren wird, ist das auch eine schmerzvolle und blutige Angelegenheit. Trotzdem wird sich niemand finden, der ständig über die Leiden seiner Mutter im Kreißsaal nachgrübelt. Man sollte die Umstände der Entstehung, des Erwachens, wie immer Sie das nennen wollen, nicht überbewerten. Das ist halt eine Klippe, über die jeder Lebende gehen muss, wenn er wachsen will. Als Untote jedenfalls bin ich schneller und stärker als zuvor, habe eine Sinnenschärfe, die ich nie für möglich gehalten hätte. Es ist nicht nur so, dass ich keine Angst mehr haben muss, nachts allein durch die Straßen zu gehen – jetzt sind es die Anderen, die Angst vor mir haben müssen.
Der Erste:
Richtig, Kraft und Stärke, das ist der Unterschied. Die Schwachen werden ausgesiebt. Und wenn doch einmal so ein Unkraut durchgekommen ist, wird es zweifellos schon in den folgenden Nächten zermalmt. Für Mitleid heischendes Gesäusel sind nämlich nur die wenigsten Vampire empfänglich. Jetzt wird keiner mehr mit durchgezogen!
Lola:
Sie haben nach dem hauptsächlichen Unterschied gefragt. Für mich ist der ganz klar: Ich kann tun, was ich will. Schule – Ausbildung – Job – Kinder – Rente – der ganze Quatsch kann mir jetzt gestohlen bleiben. Ich passe mich in kein System mehr ein. Ich bin das System. Wie bereits erwähnt: Köln ist jetzt meine Stadt!
Thomas:
Lola spricht da einen wesentlichen Punkt an. Unsere Bedürfnisstruktur ist jetzt eine ganz andere. Wenn Sie wissen, dass Sie jede Nacht einen Menschen töten werden, und das Gleiches oft und immer öfter um sie herum passiert, dann relativiert sich Einiges. Ein normales Familienleben können Sie vergessen. Sie können keine Nachkommen mehr zeugen, Sie können nur noch Andere infizieren. Außer Blut brauchen Sie keine Nahrung mehr. Sie altern nicht, sind potenziell unsterblich, beinahe unverwundbar.
Was ich auch mit Interesse beobachte: Das Geld, Abgott der Menschheit seit Erfindung der Zivilisation, hat seinen Wert verloren. Was brauchen Sie? Kleidung? Ein Fahrzeug? Eine Wohnung? Nehmen Sie es sich von Ihren Opfern. Die brauchen es nicht mehr.
Der Erste:
Das naturgegebene Recht des Stärkeren.
Thomas:
Jetzt werden Sie mal nicht sentimental.
Lola:
Mir kommen gleich die Tränen. Oder sie kämen mir, wenn ich nichts Wichtigeres zu tun hätte. So, wie ich das sehe, habe ich eine unglaubliche Chance bekommen. All meine Träume sind zum Greifen nahe. Ich werde sie mir nehmen. Wenn Andere dabei draufgehen – sollen sie!

Redaktion:
Dann macht es Ihnen also nichts aus, einen Menschen zu töten, um sein Blut zu trinken?
Lola:
Es ist mir nicht gleichgültig, wenn Sie das meinen. Ich genieße es. Die Schwäche meiner Opfer ist deutlicher Beweis meiner Stärke. Ab und an lasse ich es auch meine Untertanen erledigen. Das ist dann pure Macht: Sie befehlen jemandem, einem anderen das Leben zu nehmen. Das Opfer wird aus keinem besonderen Grund gewählt, einfach nur, weil es mir in diesem Moment so gefällt.
Der Erste:
Man sollte auch das nicht überbewerten. Früher habe ich gern Kalbsschnitzel gegessen. Da habe ich mir keine Gedanken um die Rinder im Schlachthof gemacht oder mich gefragt, ob die Axt wohl scharf war. So halte ich es jetzt auch. Man muss essen. Warum die Dinge komplizieren?

Redaktion:
Und Sie, Thomas?
Thomas:
Jetzt wollen Sie hören, dass es mich unheimlich belastet, jede Nacht einen Menschen zu töten, nicht wahr? Gut, manchmal tut es das. Aber selten, das gebe ich zu. Und bevor mich jemand dafür verurteilt, soll er sich selbst fragen, ob er eher verhungern würde, als einen Fremden zu töten. Nur Wenige können diese Frage nach gründlicher Prüfung mit einem Ja beantworten. Einige davon mögen Heilige sein, die meisten sind wohl eher Scheinheilige. Ich finde, niemand kann von mir verlangen, dass ich die Unsterblichkeit wegwerfe.
Lola:
Mich deucht, aus deiner Richtung weht ein Hauch von Vernunft zu mir herüber.
Thomas:
Täusche dich nicht. Wir haben nichts gemeinsam. Du bist nur eine Möchtegern-Diktatorin. Ich versuche wenigstens, so wenig Schaden wie möglich anzurichten, auch wenn ich weiß, dass das denjenigen wenig nützt, die dann trotzdem meine Opfer werden.

Redaktion:
Ich hoffe, durch dieses Interview haben unsere Leserinnen und Leser einige interessante Einblicke gewonnen. Möchten Sie ihnen zum Abschluss noch etwas mitgeben?
Lola:
Lesen Sie Sanguis B.!
Thomas:
Lesen Sie Sanguis B.!
Der Erste:
Lesen Sie Sanguis B.!

Redaktion:
Wir danken für dieses Gespräch.