Portraet
Namenszug
Titelbild Eisen

Leseprobe Eisen

Hier ein Auszug aus meinem Das Schwarze Auge Roman Isenborn III: Eisen. Wer nicht online lesen möchte, kann ihn auch als pdf herunterladen.


Leseprobe zu Das Schwarze Auge: Eisen
von Bernard Craw


Leseprobe entnommen aus Kapitel 1: Rebellen


***

Am Ferrom, Junkergut Isenborn, Herzogsmark Sokramor, Tobrien.
1. Tag im Rondramond, 1022 BF.

»Reicht das? Seid Ihr nah genug?«

Semira sah nicht auf. Sie hockte im Schilf, ignorierte die sie umschwirrenden Mücken und drückte die Steine, die sie im Ferrom gesammelt hatte, in den Schlamm. Der Fluss hatte sie glatt geschliffen, einer ähnelte in seiner Form einem Gänseei, aber er war grau, durchzogen von einigen blauen Schlieren. »Es wird gelingen«, antwortete die Druidin mit der kindlichen Stimme, die Fiana verriet, dass sie in Kontakt mit der Erdgöttin stand, deren Kraft sie anrufen würde.

Fiana sah über das Schilf hinweg den Flusslauf hinab. Sumu war keine milde Gottheit, nicht so wie die gütigen Schwestern Travia, Peraine und Tsa. Die Druiden sprachen nicht viel über sie. Die Weisen der Wälder verspürten weniger Drang, ihr Wissen mit den Menschen zu teilen, als es bei den Jüngern der Zwölfgötter der Fall war. Beide, Druiden und Geweihte, hätten ob eines Vergleichs die Nase gerümpft, aber Fiana schien es, dass Sumu in ihrem Wesen am ehesten Firun glich, dem grimmen Gott des Winters und der Jagd. Manchmal nannte man sie ›die Mutter‹, aber wenn sie ihre Kinder liebte, dann konnte sie es gut verbergen. Niemand bestritt, dass sie den Druiden große Macht gab, aber sie verschenkte sie nicht. Man konnte Dinge von ihr erbitten, doch sie forderte immer einen Preis. Fiana fürchtete, dass die Forelle, die in einem Eimer neben Semira zappelte, nur der geringste Teil der Bezahlung war, mit der die Druidin den bevorstehenden Zauber erkaufen würde. Gern hätte sie gewusst, wie groß die Gefahr für Semira war, aber der Respekt verbot eine entsprechende Frage. Sie hatten verschiedene Pläne besprochen. Dieser war der Beste, der Erfolgversprechendste. Sofern der Zauber gelingt.

Sie waren einfach zu wenige. Fiana, Semira, Wolflinde, zwei ehemalige Söldner und Jorlak, ihr goblinischer Diener. Mehr Kämpfer hatten sich nicht retten können. Immerhin hatten sie ein halbes Dutzend Hörige durchgebracht, die in der Baronie Aschenfeld Obdach auf entlegenen Höfen gefunden hatten.

Mit sechs Kämpfern war es zu riskant, ein Tau über den Fluss zu spannen, um die Kähne mit den Eisenbarren abzufangen. Abgesehen von der Unsicherheit, ob ein solches Hindernis die Boote wirklich aufgehalten hätte, mussten sie nach Fendriks Informationen mit einem Dutzend bewaffneter Feinde rechnen. Obwohl Fiana in ihrer Vollrüstung und mit ihrer gründlichen Ausbildung darauf hoffen durfte, jedem Einzelnen gewachsen zu sein, hätte die schiere Anzahl sie so sicher überwältigt wie ein Wolfsrudel einen Elch.

Fiana unterdrückte ein Seufzen. Sie war die Anführerin, sie musste zu der Entscheidung stehen, sonst konnte sie von niemandem verlangen, ihr zu folgen. Semira setzte in manchen Situationen ein kindliches Vertrauen in sie. Fiana hoffte, dem gerecht zu werden. Heute war sie so etwas wie Semiras Leibwächterin. Mit der vierunddreißig Stein schweren Rüstung konnte sie im Uferschlamm ohnehin nicht rennen. Glendolon, ihr Ross, hatte sie im Wald angebunden, wo der Grund trocken war und seine Hufe nicht einsanken. Das verhinderte auch, dass die Feinde ihn erspähten und dadurch gewarnt würden, aber er konnte ihr auf diese Weise natürlich auch nicht nützen. Zweifelnd sah sie an ihren Beinen hinunter. Die Eisenstiefel waren schon wieder bis über die Knöchel in den nassen Boden eingesunken. Mit einem schmatzenden Geräusch zog sie die Füße heraus und machte einen Schritt zur Seite.

Auch Semira sank ein, aber für sie war das vermutlich sogar von Vorteil, weil sie dadurch mehr Kontakt zum Wasser des Flusses hatte, das den Schlamm durchtränkte. Obwohl sie im Dreck hockte, wäre ihr Gewand nach ein paar Schritten wieder sauber. Das war bei ihr wie bei dem Wasser, dem sie so verbunden war: Nach einer Weile sank aller Schmutz zu Boden, und was zurückblieb, war rein und klar.

Wolflinde war ebenso wie Giselmar und Waidwig viel leichter gerüstet als Fiana, und für Jorlak kam ohnehin nichts anderes infrage, als der auf seine speziellen Maße gefertigte Lederpanzer. Dadurch waren sie in diesem Gelände beweglicher, wenn auch niemand schnell laufen konnte. Sie hockten ein Dutzend Schritt weiter flussabwärts. Giselmar war der einzige Fernkämpfer. Da sie nur fünf Bolzen für seine Armbrust aufbieten konnten, hatte Fiana sogar in Erwägung gezogen, diese Waffe ganz aus dem Gefecht zu nehmen und stattdessen auf die Gunst Rondras zu vertrauen, die den Einsatz von Fernkampfwaffen missbilligte, doch da sie einer doppelten Übermacht gegenüber traten, würde die Göttin hoffentlich über diesen Umstand hinwegsehen. Schließlich waren sie alle nur fehlbare Menschen und brauchten jeden Vorteil, den sie sich verschaffen konnten, um gegen die Feinde der Zwölfgötter bestehen zu können.

Wenigstens hatten sie gute Schwerter in ihrem Arsenal, Fiana dazu noch eine Streitaxt und einen Morgenstern. Auch die Kampfschilde waren fest, nur dass Waidwig den seinen nicht effektiv handhaben konnte. Vor den Brüchen in seiner Schulter hatten auch Semiras Heilkünste letztlich kapituliert. Er konnte den Arm bewegen, aber die Verwachsungen hinderten ihn daran, den Schutz über den Kopf zu heben. In den vergangenen Wochen hatte Fiana oft mit ihm geübt, damit er so fechten lernte, dass er mit dem Schwert von oben kommende Schläge parieren konnte.

Fiana wollte nicht klagen. Alle anderen Verletzungen, auch Wolflindes Kopfwunde, waren verheilt. Semira hatte gute Arbeit geleistet.

Jorlak kletterte von dem Baum, der einsam so nah am Wasser stand, dass er im Frühling nach der Schneeschmelze im Fluss stehen musste. Das war das verabredete Zeichen. »Sie kommen«, meldete Fiana, zog das Schwert und hockte sich hin, sodass die Halme sie vollständig verbargen. Ihr Puls ging schneller, nicht nur, weil viel von den nächsten Momenten abhing, sondern auch, weil es ihr unheimlich war, sich unmittelbar neben einer Druidin aufzuhalten, während diese Magie wirkte. Die Märchen waren voll von fehlgeschlagenen Versuchen, mystische Kräfte unter den Willen zu zwingen, was laut den Geschichtenerzählern oftmals darin resultierte, dass sich Dämonen Einlass in die Welt verschafften. Fiana schauderte bei der Erinnerung an das widernatürliche, grüne Feuer, das Cyron gegen Isenborns Burgtor befohlen hatte. Als Semira die Forelle aus dem Eimer nahm, sie unter Gemurmel mit dem Obsidiandolch aufschlitzte und ihre Innereien auf dem Boden verteilte, versuchte sich Fiana mit Gedanken an Dinge abzulenken, die zu der Welt gehörten, in der sie sich auskannte. Wie viele Soldaten mochten sich auf den Kähnen aufhalten? Wirklich zwölf, wie Fendrik vermutet hatte? Und wie wären sie bewaffnet? Leider trugen nur zwei Eisenrüstungen, so die Meldung. Die schweren Panzer konnten ihnen im Wasser leicht zum Verhängnis werden. Fendrik kannte sich mit Soldaten nicht aus, deswegen hatte er über die Befehlsstruktur nichts sagen können. Fiana wusste jedoch, dass Sprösslinge aus adeligen oder begüterten Häusern häufig Karriere machten und solche, die sich aus dem einfachen Volk hochdienten, ihren Sold gern in gute Rüstungen anlegten, die einem festen Hieb standhalten konnten. Deswegen war durchaus wahrscheinlich, dass es sich bei den in Eisen Gepanzerten um Korporale oder Weibel handelte. Wenn sie tatsächlich umkämen, dann wäre der Feind seiner Befehlshaber beraubt, was ein nicht zu unterschätzender Vorteil für Fianas Gruppe wäre.

Semiras Singsang stahl sich in Fianas Verstand. Sie konnte nicht widerstehen, den Blick von den eintönigen Halmen zu der Druidin schwenken zu lassen und bereute es sofort.

Das blonde Haar fiel der Frau in Wellen über die Schultern. Diese Wellen waren ständig in Bewegung, als sprudelten die Strähnen aus einer Quelle an ihrem Scheitel. Das allein war schon ein Anblick, bei dem Fiana nicht ganz wohl gewesen wäre. Viel unheimlicher aber war die Tatsache, dass sich die Druidin die Unterarme aufgeschlitzt hatte. Die Hände staken bis zu den Gelenken im Schlamm. Das Blut lief aus den geöffneten Adern herab, sammelte sich jedoch nicht zu einer Lache, sondern strömte mit unnatürlicher Zielstrebigkeit dem Fluss entgegen. Es sah aus wie zwei winzige Bäche, die im Schilf untertauchten. Semira sang noch immer ihre unverständlichen Verse. Die Silben hörten sich an, als seien sie in Wasser gesprochen, plätschernd, rauschend oder gluckernd. Die Lider der Druidin waren geöffnet, doch von den Augen war nur das Weiße zu sehen.

Nervös verlagerte Fiana ihren Standort um einen halben Schritt, da sie bereits wieder eingesunken war. Was, wenn bei dem Ritual etwas schief ginge? Von Dämonen oder anderen magischen Phänomenen ganz abgesehen hätte Fiana noch nicht einmal zu erkennen vermocht, wenn Semira etwas zugestoßen wäre. Urgroßvater, derjenige in ihrer Familie, der sich am eingehendsten mit den Druiden auseinandergesetzt hatte, war davon überzeugt gewesen, dass die Weisen ihre eigene Lebenskraft einsetzten, um Zauber zu wirken. Er hatte auch geglaubt, dass jeder Druide die Kraft habe, einen großen, letzten Fluch zu schleudern, indem er Sumu mit seinem eigenen Leben bezahlte. Deine Erfahrung fehlt mir, Urgroßvater. Fiana schluckte. Du fehlst mir. Eines der vielen Leben, die Cyron auf dem Gewissen hatte und für das sie ihn eines gerechten Tages bezahlen ließe.

Fiana zwang sich, Semiras Gesicht genau zu beobachten. Sie hätte sich selbst ohrfeigen können dafür, dass sie es versäumt hatte, sich von der Druidin erklären zu lassen, woran sie einen unplanmäßigen Verlauf hätte erkennen und was sie in einem solchen Fall hätte tun sollen. Gesund sah jedenfalls nicht aus, was da mit der zierlichen Frau geschah. Das Blut floss und floss. Hätte es sich um einen anderen Gefährten gehandelt, hätte Fiana die Wunden unverzüglich verbunden. Das Gesicht der Druidin war bereits bleich wie Kalk. Schließlich brach auch noch Wasser zwischen ihren Lippen hervor, was sie aber nicht am weiteren Intonieren ihrer Zauberformel hinderte. Schnell fragte sich Fiana, wie solche Mengen Flüssigkeit überhaupt in den Magen der zierlichen Frau gepasst hatten. Sie sah auch nicht, dass sich die Kehle bewegen würde, um sie hochzuwürgen. Es war, als wandelten sich die Worte im Mund der Druidin zu Wasser.

Erst als sie die aufgeregten Rufe vom Fluss her hörte, wurde ihr klar, dass sich auch ein anderes Geräusch verändert hatte: Das Rauschen des Ferrom war jetzt nur noch von flussaufwärts zu vernehmen, nicht mehr von flussabwärts. Zur einen Hälfte war es die Neugier, die Fiana aufstehen ließ, zur anderen das Unwohlsein, das sich bei der Betrachtung der Druidin in ihr regte. Sie spähte über das Schilf hinweg und wurde Zeugin eines unglaublichen Anblicks.

Das Wasser staute sich wie an einer unsichtbaren Wand. Der Ferrom floss einfach nicht weiter. Hinter einer Grenze, die dünne Stränge von Semiras Blut zogen, lag das Flussbett entleert wie eine ausgeschüttete Schüssel. Hätte es sich um einen natürlichen Damm gehandelt, hätte das Wasser seinen Weg seitlich in das Schilf suchen müssen, aber das tat es nicht. Die nachdrückenden Wellen schoben es auf wie einen Hügel, wie Schnee, der gegen eine Mauer geweht wurde. Diesen Hügel hinauf trieben die drei Kähne mit den Eisenbarren und den schwarz gekleideten Soldaten. Ihre Stangen richteten nichts aus. Falls sie überhaupt noch Grund fanden, so hatte das keinen Effekt. Der Ferrom hatte sich im wahrsten Sinne des Wortes mit Semira gegen sie verschworen. Ihre Schreie verrieten Wut und Angst.

Letztere war durchaus berechtigt, denn so wirkungsvoll die unsichtbare Wand dem Wasser Einhalt gebot, so gegenstandslos war sie für die Kähne. Der erste glitt über die magische Barriere hinaus und fiel dann wie ein Stein, da er kein Wasser mehr unter sich hatte, das ihn getragen hätte. Der Sturz an sich war für die Besatzung nicht dramatisch, sie fiel gut vier Schritt, bis das Holz des Bootes mit vernehmlichem Knacken auf das sandige Flussbett schlug. Das mochte ein paar Prellungen und vielleicht auch einen Bruch geben, war aber sicher nicht lebensbedrohlich.

Das allerdings konnte man von dem zweiten Kahn nicht sagen, der nun über den Köpfen der Besatzung des ersten Bootes auftauchte und auf diese niederstürzte. Die beiden Wasserfahrzeuge waren nicht exakt in der gleichen Linie gefahren, aber doch so, dass zwei Soldaten von dem Gefährt zermalmt wurden. Der dritte Kahn fuhr weiter backbord. Auch er stürzte in das ausgetrocknete Flussbett, jedoch ohne die anderen zu berühren.

»Das reicht«, sagte Fiana. »Wir haben sie.«

Sie wandte sich um. Semira schien sie nicht gehört zu haben, sie brabbelte noch immer ihre Zauberworte hervor und war darüber noch ein Stück bleicher geworden, was Fiana zuvor als unmöglich erachtet hätte. Die Haut der Druidin war wie Milch. Fiana trat zu ihr und schüttelte sie. »Semira! Wir haben sie!«

Die Druidin hustete. Wegen des Wassers, das aus ihrem Mund quoll, sah es so aus, als übergebe sie sich.

»Lasst dem Fluss wieder seinen Lauf!«, bat Fiana aufgeregt.

Semira zog die Hände aus dem Schlamm. »Es geschieht doch schon.«

Mit einem gewaltigen Donnern brachen die aufgehaltenen Fluten los, als hätten sie ein Schleusentor gesprengt. Die flachen Boote, deren Schwimmfähigkeit nach dem Sturz ohnehin bezweifelt werden durfte, wurden von den Wellen bedeckt. Die Eisenbarren, die sie transportierten, würden den Grund nicht mehr verlassen und auch die beiden Soldaten mit den teuren Rüstungen merkten nun, dass sich in Eisen schlechter schwamm als in Leder.

Einige Söldner stießen prustend durch die Wasseroberfläche. Die Strömung trieb sie flussabwärts und war so stark, dass sie schnell an Fianas wartenden Kameraden vorbeigezogen wurden. »Ihnen nach!«, hörte sie Wolflindes Ruf. Das war Fianas Zugeständnis an die Söldnerin gewesen. Im Grunde war das einzige Ziel dieser Mission, die Lieferung des Eisens an die Waffenschmiede in Yol Ghurmak zu verhindern, aber Wolflinde gierte danach, einen Menschen zu töten. Das war der ganz persönliche Dämon, der ihre Seele in den Klauen hielt. Fiana hätte lieber das Risiko vermieden, einen ihrer Leute verwundet oder gar tot zu sehen, aber nach den diversen Lagebesprechungen verstand sie auch, warum Söldnerführer stets darauf achteten, die Wünsche ihrer Untergebenen angemessen zu berücksichtigen. Im Grunde war es einfach: Man konnte nur Leute führen, die einen ihrerseits als Anführer akzeptierten. Das konnten sie entweder tun, weil sie jemanden fürchteten oder weil sie glaubten, dass er ihnen zu dem verhalf, was sie begehrten. Die Borbaradianer neigten zur ersten Methode, Fiana wollte es mit der zweiten versuchen, und es gab nichts, was ihre fähigste Untergebene so sehr begehrte wie Menschenblut an ihrer Schwertklinge.

Da Fiana keine unmittelbare Gefahr ausmachen konnte, hockte sie sich zu Semira nieder. »Geht es Euch gut?«

Semira schabte das Blut mit der flachen Seite ihres Obsidiandolchs von den Armen, als würde sie einen nassen Boden abziehen. Unerklärlicherweise entfernte sie dabei nicht nur den roten Lebenssaft bis auf den letzten Tropfen, sondern legte auch eine makellose Haut frei, die nicht das kleinste Anzeichen eines Einschnitts aufwies. Allein ihre unnatürliche Blässe und ihr leichtes Schwanken kündeten von der Anstrengung, die sie sich zugemutet hatte. Die Antwort blieb sie Fiana schuldig, wahrscheinlich war sie noch nicht vollständig in die Welt des Greifbaren zurückgekehrt.

»Kann ich etwas für Euch tun?«, fragte Fiana, wobei sie jedes Wort betonte. Auch diese Ansprache zeitigte keinen Erfolg, sodass ihr nichts weiter blieb, als die Druidin zu beobachten, die sorgfältig ihren Dolch in die Scheide schob und ihn in den Falten ihres Gewandes verschwinden ließ. Die fließenden Bewegungen in ihrem Haar hatten sich auf die wenigen Wirbel reduziert, die stets darin spielten. Ihre Atmung war ruhig und gleichmäßig, Augen und Mund hielt sie geschlossen. Ihre Erscheinung war dazu angetan, Fiana zu beruhigen.

Da sie für die Druidin nichts tun konnte, stand sie auf und hielt nach ihren Kameraden Ausschau. Der Ferrom floss so beständig, als habe sich hier nichts Ungewöhnliches ereignet. Am anderen Ufer sah sie zwei Söldner in nassen, schwarzen Wappenröcken flussaufwärts hasten. Da sie unerreichbar waren, konnte Fiana nicht verhindern, dass sie die Kunde nach Flusswalde brächten. Das war eine Schwäche des Plans, die sie bewusst akzeptiert hatte. Anderenfalls hätte sie ihre winzige Streitmacht teilen müssen, um beide Ufer zu bewachen. Möglicherweise war es auch gar kein Nachteil. Es konnte nützlich sein, wenn der Feind wusste, dass er hier nicht sicher war. Vielleicht bemühte er sich dann um mehr Bedeckung für seine wichtigen Vorhaben und bedeutenden Persönlichkeiten, sodass weniger Soldaten erübrigt werden könnten, um die Bevölkerung zu drangsalieren.

Fiana hörte einen Schrei. Ein Söldner kam auf sie zu gerannt, oder was man in diesem Gelände als ›rennen‹ bezeichnen konnte. Auch seine Füße sanken tief in den Schlamm ein, sodass eine schnelle Schrittfolge nicht möglich war. Er versuchte dies durch weite Schritte auszugleichen, was Sprüngen nahe kam, die seine Schultern und seinen Kopf wie einen auf Wellen tanzenden Korken aus dem Schilf hoben, das ihm, ähnlich wie Fiana, bis zur Brust reichte. Er schien nicht verwundet und unbewaffnet, verwendete die Arme, um die Halme zur Seite zu drücken. Offensichtlich hatte er sie gesehen, denn er hielt direkt auf sie zu. Fiana klappte ihr Visier herunter und stellte sich vor Semira.

Der Soldat war vollkommen außer Atem, als er sie erreichte und einen guten Schritt vor ihr auf die Knie fiel. »Erbarmen, Herrin!«, japste er. »Ich ergebe mich Eurer Gnade!«

Fiana überlegte noch, was sie antworten sollte, als Wolflinde schon heran war und ihr mit einem entschlossen geführten Schräghieb die Entscheidung abnahm. Das Schwert drang an der linken Schulter ein und schlug bis zum Brustbein durch, wo es stecken blieb. Der Mann riss den Mund weit auf, brachte jedoch kein Wort mehr heraus. Er war bereits tot, nur noch das Schwert in Wolflindes Faust hielt ihn aufrecht.

Fiana sah sich nach weiteren Gegnern um, fand aber keine. Sie entschloss sich, ihr Schwert dennoch vorerst in der Hand zu behalten, als sie das Visier wieder aufklappte. »Das hättest du nicht tun sollen«, wies sie Wolflinde zurecht. »Wir hätten ihn verhören können.«

Wolflinde grinste, was ihre Zähne wie Fänge schimmern ließ. Sie hatte sich heute mehr als einmal ihren großen Wunsch erfüllt, Menschenleben gewaltsam zu beenden. Die Blutspritzer in ihrem Gesicht und auf ihrem Lederpanzer zeugten davon. »Er war nur ein einfacher Scherge. Was hätte er uns schon verraten können?«

»Das tut nichts zur Sache!«, donnerte Fiana. »Er wollte sich mir ergeben! Ich hatte darüber zu entscheiden, nicht du!«

Wolflinde zuckte mit den Schultern. Sie war augenscheinlich bester Laune. Mit einem beherzten Tritt löste sie die Leiche von ihrer Klinge. »Enthaupten?«, fragte sie.

Fiana atmete tief durch. Wolflindes Eigenmächtigkeiten grenzten an Rebellion. Aber waren sie nicht genau das – Rebellen?

Fiana nickte. Sie wandte sich ab, als Wolflinde ihr Werk beendete. Am besten warfen sie die Leichen auch noch in den Fluss, um ganz sicher zu gehen, dass kein Nekromant seine unheilige Kunst daran erproben könnte.

»Über diese Sache wird noch zu reden sein, Wolflinde.«

»Ganz, wie Wohlgeboren wünschen.«

»Ich bemerke deinen Spott sehr wohl!«

»Oh, der gilt nur dem Leben als solchem, junge Herrin, nicht Euch im Speziellen.«

Fiana runzelte die Stirn. »Was stimmt nicht mit dir, Wolflinde?«

»Mit mir?« Sie zuckte mit den Schultern. Als sie ihre Klinge am Wams des Erschlagenen trocknete, lag ein Lächeln auf ihren Lippen. Es hatte einen traurigen Zug. »Wieso wollt Ihr das wissen? Warum fragt Ihr nicht, was mit der Welt nicht stimmt? Wenn ich verrückt bin, dann ist es dieses Leben auch, scheint mir. Zumindest passe ich gut hinein. Verrückt sind wohl eher die Bauern, die ihre Felder beackern, als sei Tobrien noch ein freies Land.«

»Sie haben ein hartes Los.«

»Das haben Bauern immer. Aber ich bezweifle, dass sie unter der Herrschaft Galottas und Arngrimms hoffen dürfen, ein rechtschaffenes Leben zu führen. Wer weiß? Vielleicht wird das Getreide, das sie ihren neuen Herren abliefern, auf der Seelenwaage gegen sie gewogen werden. Wäre es da nicht besser, gleich die ganze Ernte zu verbrennen? Und wer vermag zu sagen, ob ich nicht in die Paradiese der Zwölf gebeten werde, weil ich diesen Diener der Paktierer aus dem Leben getilgt habe?«

»Es war nicht ehrenhaft, wie du gehandelt hast.«

Wieder zuckte Wolflinde mit den Schultern. »Soll Rondra die Nase über mich rümpfen. Ich bin sicher, dass Kor lächelt, wenn er mich sieht.«


***


Ende der Leseprobe.




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Entnommen aus:
Eisen
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